"Wo ist unser buntes Theben"

Das Leben der Else Lasker Schüler
Dokumentarfilm, 52 min.

Else Lasker Schüler stand im Zentrum eines einzigartigen künstlerischen Aufbruchs. Sie gilt als Wegbereiterin einer Avantgarde, die nach radikal neuen, expressiven Formen in der Malerei u nd Literatur suchte. Franz Werfel und Georg Trakl standen mit ihr im engen Autausch, Franz Marc malte für sie seinen berühmten Turm der blauen Pferde, Gottfried Benn ernannte sie zur größten deutschen Lyrikerin aller Zeiten. Ihre Sprache war bahnbrechend, ihre Bilderwelten exotisch. Zu einer Zeit, als sich die großen Kriege über Berlin zusammenbrauen, beschwört sie in ihren Gedichten und Zeichnungen immer wieder den Orient als märchenhafte Gegenwelt. Sich selbst setzte sie darin vornehmlich als den hoffnungslos liebenden Träumer Prinzen Jussuf in Szene, Herrscher über Theben und den ganzen Vorderen Orient. In schrille orientalische Gewänder gekleidet, von Flöten, Trommeln und Rasseln begleitet, deklamierte sie traumverloren wie eine Wüstenbewohnerin ihre Gedichte auf den angesagten Bühnen der Stadt. Dabei wechselte sie immer wieder ihre Identitäten, war mal Mann, mal Frau, mal von dieser Welt und dann auch wieder nicht. So sollte sie Geschichte schreiben: als eine von Wundern beseelte Nomadin der Großstadt, Sachverwalterin des Schwärmerischen, Seelischen und Fantastischen.

Else Lasker-Schüler schaffte nicht nur Legenden, sie ist selbst eine. Legenden entstehen jedoch zu dem Preis, dass die wahre Geschichte hinter ihnen verschwindet. Vor 69 Jahren ist Deutschlands berühmteste Dichterin in völliger Einsamkeit in Israel gestorben.

Der Film WO IST UNSER BUNTES THEBEN nimmt ihren 70. Todestag zum Anlass, um nach dieser großen Künstlerin zu suchen, die „Deutschland auf rätselhafte Art verloren ging“ (Gottfried Benn).

Ausgangspunkt ist die Kulisse ihrer letzten Lebensjahre. In den Straßen Jerusalems rekonstruiert der Film die Spuren des legendären Prinzen Jussuf, trifft seine letzten Zeitgenossen und beginnt - in Begleitung namhafter Autoren und Historiker - seinen Lebensweg zu bis in seine deutsche Vergangenheit zurückzuverfolgen. Verblüffend ist, wie schnell das Bild des Flöte spielenden Träumerin vor diesem viel beschworenen Sehnsuchtsort an Exotik verliert. Von einer Kindheit unter assimierten Juden in Wuppertal bis zum Sprung in die Berliner Boheme, von der Verleihung des Kleistpreises bis zu einem wiedergefundenen Koffer 60 Jahre nach ihrem Tod, von ihrer ersten Palästinareise bis zu ihrem Berufsverbot im Schweizer Exil:
Auf einer Zeitreise durch die Wüsten Israels ermöglicht der Film die Begegnung mit einer eher unbekannten Else Lasker Schüler - jenseits aller Maskeraden und Selbstinzenierungen. Vor dem Hintergrund des heutigen Israels spürt der Film einer zielbewussten, kompromisslosen Künstlerin nach, einer hellsichtigen Beobachterin des politischen Zeitgeschehens, die seit ihrer frühen Kindheit von einer existentiellen Sehnsucht bestimmt war: der Sehnsucht nach Zugehörigkeit

Else Lasker-Schüler hat ihr viel beschworenes Theben nie gefunden, weder unter Berliner Cafehausliteraten, noch im neu entstehenden Staat Israel. Zionistischer Eifer und traditionelles Judentum blieben ihr so fern, wie sie als Jüdin dem faschistischen Deutschland fern bleiben musste. Sie ist überall eine Fremde geblieben. Und so ist der Film WO IST UNSER BUNTES THEBEN vor allem eine Reflexion über Migration, Sehnsucht und Identität, die aktueller nicht sein könnte. Eine Heimatsuche zwischen Elberfeld, Berlin, und Jerusalem.